Dr. Gero Hocker

Wolfsbestand endlich realistisch darstellen

Während seiner Ausbreitung in Deutschland innerhalb der letzten 20 Jahre hat der Wolf durch Risse kontinuierlich mehr Nutztiere getötet. Im Jahr 2020 wurden fast 4.000 Fälle gemeldet. Von einer hohen Dunkelziffer muss ausgegangen werden. Wölfe lernen schnell. Rudel, die als wolfssicher errichtete Zäune überwinden, sind längst keine Seltenheit mehr. Stattdessen sorgen immer häufigere Rissmeldungen dafür, dass die Akzeptanz des Wolfes vor allem in den ländlichen Gebieten grundsätzlich auf der Kippe steht. Von 2017 bis 2020 sind die Ausgaben der Bundesländer für Entschädigungen nach Wolfsangriffen um 300 Prozent auf 800.000 Euro gestiegen. Für Herdenschutzmaßnahmen wurden im selben Jahr 9,5 Millionen Euro aufgewendet. Der wirtschaftliche Schaden ist für die Weidetierhalter durch Nicht-Meldungen und nicht erstattete Arbeitszeit um ein Vielfaches größer. Die Dimensionen des praktisch Möglichen sind etwa beim Zaunbau längst gesprengt.

 

Tierhalter beschließen infolge der immer größer werdenden Wolfspopulation und der dadurch stark zunehmenden Nutzungskonflikte, ihre Tätigkeit aufzugeben oder denken aktuell darüber nach. Doch eine ausgeprägte Weidetierhaltung in Deutschland trägt zum Erhalt unserer Kulturlandschaften und im Rahmen der Deichbeweidung zur Sicherheit der Menschen in unserem Land bei. Der Artenschutz profitiert, zum Beispiel durch die Schaffung von Lebensräumen für Wiesenbrüter, direkt von der Weidewirtschaft. Wir dürfen die Tierhalter nicht im Regen stehen lassen. Denn nun ist es an der Zeit dafür zu sorgen, dass nicht die Tierhalter auf der roten Liste der bedrohten Arten landen. Es wäre ein erheblicher Verlust für unser Land.

 

Damit das Zusammenleben von Mensch, Weidetieren und Wolf weiterhin möglich ist, brauchen wir eine Änderung in der Wolfspolitik. Die Weidewirtschaft muss durch eine Weidetierhaltungsstrategie geschützt werden, die ein Bestandsmanagement enthält. Dies ist insbesondere für Gebiete wichtig, die schon jetzt einen großen Wolfsbestand aufweisen und somit einen überproportionalen Beitrag zum Erhalt der Wolfspopulation leisten. Es kann nicht sein, dass der Wolf erst bis in den letzten Winkel des Landes vorstoßen muss, damit in den dicht besiedelten Gebieten gehandelt werden kann. Eine regionale Differenzierung ist deshalb wichtig. Das Ziel ist, dass Bund und Länder regional tolerable Wolfsbestandsdichten der einzelnen Regionen definieren, die die Verminderung und Vermeidung von Nutztierrissen bei gleichzeitigem Erhalt einer stabilen Wolfspopulation realisieren, so wie es uns zahlreiche Nachbarländer bereits vorgemacht haben. Ein regional differenziertes Bestandsmanagement wurde auch von der Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart.

 

Voraussetzung für ein solches Bestandsmanagement ist, dass der Wolfsbestand in Deutschland endlich realitätsnah erfasst und dargestellt wird. Das ist bisher nicht der Fall. So musste die alte Bundesregierung auf Anfrage der FDP-Fraktion eingestehen, dass sie die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Wölfe nicht seriös angeben kann. Ursache ist etwa, dass das Monitoring der Länder auf Rudel, Paare und Einzeltiere ausgerichtet ist. Um den günstigen Erhaltungszustand der Population nachzuweisen, sind genauere Zahlen jedoch dringend erforderlich. Erst auf Basis dieser Zahlen kann auch das Erreichen regional differenzierter Obergrenzen des Wolfsbestandes im Rahmen eines regionalen Bestandsmanagements ermittelt werden. Die realistische Erfassung und Darstellung des Wolfsbestandes in Deutschland ist deshalb nun der erste Schritt, den die Ampel-Koalition auf dem Weg einer neuen Wolfspolitik gehen muss und wird, damit anschließend weitere Schritte wie ein regionales Bestandsmanagement möglich werden.