Wie du säst, so wirst du ernten
Wer in den letzten Wochen mit dem Auto, dem Fahrrad oder der Bahn durch Deutschland gereist ist, konnte geerntete Stoppelfelder oder noch bestellte Ackerflächen, sattes Grünland und auch hier und da einen Blühstreifen sehen. Vielleicht hat er auch beobachtet, dass das Getreide auf vielen Getreideflächen aufgrund des vielen Regens zwar reif, aber zu nass zur Ernte war, und daher ins Lager ging: Aufgrund des vielen Regens knickten vielerorts die schweren Halme, die Ähren lagen auf der Fläche und die Körner fingen bereits an zu keimen, aufgrund der Feuchtigkeit bildete sich Schimmel. Keine Frage, Qualität und Menge leiden unter den diesjährigen Niederschlägen in der Getreideernte. Das ist problematisch für die Landwirte, die mit ihrer Ernte den Jahresverdienst einholen müssen, für die Nahrungsmittelversorgung, die weltweit bereits durch die Folgen des Kriegs in der Ukraine in der Krise ist und auch für die ohnehin durch Inflation geplagte Preisentwicklung. Dennoch, das Wetter ist ein einkalkulierter Risikofaktor in der Getreideernte.
Was der durch die Landschaft Reisende nicht unmittelbar sehen kann: Vier Prozent der Flächen sollen im nächsten Jahr brach liegen. Das heißt, im nächsten Sommer soll auf Flächen, auf denen in diesem Jahr Mais, Gerste, Bohnen, Erdbeeren oder Weizen gewachsen sind, auf denen vielleicht Sortenexperimente durchgeführt oder neue Bewirtschaftungsmethoden ausgetestet wurden, keine der genannten Früchte ausgesät werden dürfen. Jeder Landwirt in der EU soll 4% seiner Ackerflächen stilllegen. Diese Maßnahme hätte bereits seit letztem Jahr gelten sollen. Dass sie im vergangenen Jahr aufgrund der besonderen Situation durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgesetzt wurde, war absolut richtig.
Jedoch gibt es weiterhin schwerwiegende Gründe, die dafürsprechen, die Stilllegungsverpflichtung vollends aus dem agrarpolitischen Baukasten zu eliminieren. Spätestens der Krieg, aber auch zahlreiche Extremwetterereignisse führen uns ständig vor Augen, wie schnell Ernteausfälle zu globalen Hungerkrisen führen können. Auch wenn die globale Ernte in diesem Jahr ein moderates Level zu erreichen scheint, so sollte unsere Politik nicht darauf basieren, vollends auf die Ernte von Drittstaaten zu vertrauen. Wer ausgerechnet mit der überraschend zufriedenstellenden Ernte in der Ukraine und den damit verbundenen hohen Einfuhrmengen in EU-Länder für EU-Flächenstilllegungen argumentiert, hat noch nicht verstanden, dass es genau solche Abhängigkeiten zu verhindern gelten muss. Darauf zu vertrauen, dass die durch unsere Stilllegungen global fehlende Erntemenge von Nicht-EU-Mitgliedstaaten schon aufgefangen wird, darf nicht Ziel europäischer Stilllegungspolitik sein. Außerdem produzieren wir in der EU nicht nur Grundnahrungsmittel für unsere eigene Bevölkerung, sondern exportieren das Getreide in Regionen mit deutlich schlechteren Standortbedingungen. Wir leben in einer Welt mit einer stark wachsenden Bevölkerungszahl, aber zurückgehender Ackerflächen. Wie die Rechnung aufgehen soll, diese Bevölkerung zu ernähren, wenn wir Mindererträge auf unseren Gunststandorten billigend in Kauf nehmen, ist mir ein Rätsel. Denn in der Landwirtschaft gilt wortwörtlich: Wie du säst, so wirst du ernten. Oder: Nur, wenn du säst, wirst du auch ernten.
Gut also, dass viele Mitgliedstaaten erneut fordern, diese Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung zu verlängern. Insbesondere in unseren östlichen Nachbarländern sind die Landwirte bereits dadurch unter Druck, dass günstiges Getreide aus der Ukraine, das nicht mehr über die Schwarzmeerroute verfrachtet werden kann, auf die heimischen Getreidepreise drückt. Wenn sie nun auch noch selbst weniger Getreide anbauen und ernten können, geraten sie weiter ins Hintertreffen. Wir müssen aufhören, unsere europäischen Landwirte, die zu Weltmarktpreisen agieren müssen, weiter mit Auflagen zu überfrachten. Die vorsichtige Aussage von EU- Landwirtschaftskommissar Wojciechowski, den Vorschlag einer weiteren Ausnahmeregelung unter Berücksichtigung der Erntesituation in Erwägung zu ziehen, begrüße ich daher sehr. Bleibt zu hoffen, dass er aus den Informationen die richtigen Schlüsse zieht.
Statt unsere Ertragssicherung mit Stilllegungsverpflichtungen, pauschalen Verboten und überzogenen Einschränkungen von Pflanzenschutzmitteln sowie dem Spiel mit Angstfantasien vor modernen Züchtungsmethoden zu gefährden, müssen wir Umweltschutz und Ertragssicherung umfassend denken. Mit zahlreichen Beispielen hat die landwirtschaftliche Praxis in den vergangenen Jahren bewiesen, wieviel Potenzial in der Landwirtschaft steckt. Innovationen in Technik, in Züchtung, im betrieblichen Management und im Austausch mit weltweiten Anbau- und Produktionspraktiken tragen mehr und mehr dazu bei, höhere Erträge bei gleichzeitig mehr Umwelt- und Naturschutz zu ermöglichen. Stilllegungen und fantasielose Verbotspolitik schaffen dies nicht.