Dr. Gero Hocker

Tierwohl in der Landwirtschaft

Die FDP-Bundestagsfraktion will die Tierwohlkennzeichnung schnellstmöglich umsetzen. Sie ist die Basis dafür, dass Kunden in den Geschäften die Einhaltung bestimmter Standards erkennen und damit auch honorieren können. Die Tierwohlkennzeichnung muss bisherige Bemühungen seitens der Landwirte, etwa im Rahmen der Initiative Tierwohl, abbilden. Hier haben die Tiere mehr Platz im Stall, der zusätzlich beispielsweise mit Beschäftigungsmaterial und Einstreu strukturiert ist. Deshalb ist es gut und richtig, dass mittlerweile eine Haltungsstufe „Stall plus“ beziehungsweise „Strukturstall“ vorgesehen ist, wie es die FDP in den Verhandlungen zum Tierwohl von Beginn an gefordert hat. Andernfalls würde entsprechend erzeugtes Fleisch als gesetzlicher Standard gekennzeichnet und die Erzeugung zwangsweise auf diesen Standards zurückfallen. Das BMEL plant derzeit eine eigene Stufe „Biohaltung“. Ein Tier kann konventionell jedoch mit genauso viel Tierwohl oder sogar besser gehalten werden als biologisch. Eine eigene Haltungsstufe Biohaltung ist deshalb aus Tierwohlgesichtspunkten kontraproduktiv. Vielmehr steht die Biolandwirtschaft für eine bestimmte Form der Erzeugung etwa mit dem Einsatz von biologisch erzeugten Futtermitteln in der Tierhaltung sowie ohne den Einsatz von Mineraldünger und ist anhand eines eigenen Labels erkennbar. In der Tierwohlkennzeichnung muss sie sich deshalb in die Haltungsstufen eingruppieren, die sich ausschließlich an Tierwohlkriterien orientieren.

 

Elementare Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland ist eine vollständige Novellierung des Bau- und Immissionsschutzrechts. Erst dann können überhaupt in der Fläche neue Ställe gebaut und bestehende Ställe umgebaut werden. Diese Grundlage für Baugenehmigungen kann sofort umgesetzt werden, um den Startschuss für eine Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland zu geben. Dann könnten die Landwirte, die eigene Konzepte beim Tierwohl haben und entsprechende Marktsegmente bedienen wollen, bereits jetzt loslegen. Spätestens im Gesamtpaket Tierwohl bestehend aus Tierwohl- sowie Herkunftskennzeichnung, Finanzierung und Genehmigungsrecht muss dieser elementare Baustein aber enthalten sein. Es liegen allerdings derzeit keine Vorschläge des BMEL beziehungsweise der anderen zuständigen Ministerien vor. Ohne diesen Baustein wäre die geplante Entwicklung der Tierhaltung ein Ausstiegsprogramm für die meisten Tierhalter in Deutschland, weil schlicht nicht gebaut werden könnte. Wir als FDP-Fraktion wollen aber allen Tierhaltern als unverzichtbarem Bestandteil der heimischen Landwirtschaft eine Zukunftsperspektive geben und beharren deshalb auf einer vollständigen Novellierung des Bau- und Immissionsschutzrechts.

 

Die Finanzierung der Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland muss für die Landwirte verlässlich sein. Landwirte kalkulieren Investitionen in ihren Betrieben wie Stallumbauten mindestens über die Abschreibungsdauer von je nach Stall bis zu 25 Jahren, in der Regel aber weit darüber hinaus. Sie müssen in Generationen denken. Finanzierungszusagen des Staates für höhere laufende Tierwohlkosten sind derzeit aber nur für wenige Jahre geplant. Das birgt ein enormes Risiko für die Betriebe, die dann womöglich vor einem noch größeren Scherbenhaufen stehen. Niemand kennt zukünftige politische Mehrheiten und deren Prioritäten. Die Politik der letzten Jahre, nationale Standards im Vergleich zum EU-Binnenmarkt immer weiter anzuheben, hat Landwirte erst in die jetzige Misere gebracht. Warum sollen sie sich zukünftig mehr auf Politik verlassen können? Eine langfristige wirtschaftliche Perspektive kann nur marktwirtschaftlich sichergestellt werden. Die Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland muss deshalb durch Nachfrage seitens der Konsumenten gedeckt sein und sich langsam entwickeln. Eine Zwangsfinanzierung durch eine erhöhte Mehrwertsteuer oder Abgabe trägt die FDP-Fraktion nicht mit. Sie würde die Preise für Fleisch in Zeiten galoppierender Inflation weiter deutlich steigen lassen. Von einer dann sinkenden Nachfrage hätten auch die Landwirte nichts. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass sich die Margen für den Landwirt als schwächstem Glied in der Wertschöpfungskette anschließend verkleinern und somit die Betriebsergebnisse schmälern beziehungsweise weiter ins Negative drücken. Wir wollen stattdessen eine freiwillige Vereinbarung von Marktteilnehmern (Landwirte/LEH), auf deren Grundlage in einen eigenständigen Fonds eingezahlt wird. Der Staat kann die Moderationsrolle einnehmen. Die Planung des BMEL sieht zudem vor, dass höhere laufende Kosten lediglich für die höheren Stufen der Tierwohlkennzeichnung bezahlt werden sollen. Auch Betriebe, die sich etwa im Rahmen der Initiative Tierwohl auf den Weg gemacht haben, ihre Ställe umzugestalten, haben steigende Kosten zu verzeichnen. Damit würden sie im Regen stehen gelassen.

 

Die aktuelle Misere der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland ist Ergebnis der Politik der vergangenen Jahre, nationale Standards im Vergleich zum EU-Binnenmarkt immer weiter anzuheben. Deutsche Landwirte können deswegen im Wettbewerb mit Produzenten aus dem Ausland nicht mehr mithalten. Die Einführung der Tierwohlkennzeichnung soll das unter besseren Bedingungen erzeugte Fleisch aus Deutschland kenntlich machen. Zunächst wird das Kennzeichen jedoch nur für den Bereich Schweinemast umgesetzt. Damit der höhere gesetzliche Standard deutscher im Vergleich zu ausländischen Produkten bei allen Tierarten und Produktionsstufen (z.B. Sauenhaltung) erkennbar ist, muss gleichzeitig zur Haltungskennzeichnung eine Herkunftskennzeichnung (5D) umgesetzt werden. Davon ist in den Vorschlägen des BMEL bisher keine Rede, sodass die FDP-Fraktion nicht zustimmen kann. Wir könnten es nicht verantworten, wenn der höhere gesetzliche Standard in Deutschland bei der Kennzeichnung weiter durchs Raster fällt.

 

Deutschland hat bereits jetzt höhere Standards bei der Tierhaltung im Vergleich zum EU-Binnenmarkt und erst recht weltweit. Eine weitere Erhöhung der gesetzlichen Standards steht deshalb aktuell in keiner Weise zur Debatte. Von den Grünen wird aber genau dies geplant, was wir als FDP nicht mittragen werden. Die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Betriebe darf hier nicht weiter gefährdet werden. Darüber hinaus brauchen die Betriebe, die sich zur Weiterentwicklung der Tierhaltung durch Stallumbauten oder Neubauten auf den Weg machen, Verlässlichkeit bezüglich zukünftiger Rahmenbedingungen, sodass sie ihre Investitionen kalkulieren können. Dafür darf nicht nur der gesetzliche Standard absehbar nicht angehoben werden. Zusätzlich brauchen die Landwirte die Garantie, dass die Kriterien der jeweiligen Stufen des Kennzeichens für sie unverändert über den Abschreibungszeitraum der Investitionen gelten. Das muss verbindlich zugesichert werden. Davon ist in den Planungen des BMEL keine Rede. Verlässliche Rahmenbedingungen sind für die FDP aber elementare Voraussetzung für die zukunftsfähige Umsetzung von mehr Tierwohl.

 

In den Bereichen Bau-/Immissionsschutzrecht, Finanzierung, Herkunftskennzeichnung und verlässliche Rahmenbedingungen gleichen die Vorschläge des BMEL beziehungsweise deren Fehlen einem Ausstiegsprogramm aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland statt diesem wichtigen Zweig landwirtschaftlicher Produktion eine Zukunft zu bieten. Minister Özdemir verteilt auf diese Weise ungedeckte Schecks und lockt Bauern in die Investitions-Falle. Wenn die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Lebensmitteln nicht in wenigen Jahren ebenso hoch sein soll wie von russischem Gas oder französischen Kernkraftwerken, brauchen Landwirte Planungssicherheit in Form eines Auflagenmoratoriums anstatt unsicherer Finanzierungszusagen der Politik. Die FDP besteht deshalb weiterhin auf ein schlüssiges Gesamtkonzept mit ideologiefreien Haltungsstufen, einem für alle Betriebe zukunftsfähigen Bau- und Immissionsschutzrecht, einer Herkunftskennzeichnung und tatsächlicher Planungssicherheit für die Betriebe hinsichtlich Finanzierung und Standards. Denn entgegen den Äußerungen des Ministers gibt es bei den Detailfragen des Tierwohls keineswegs Einigkeit, sondern zahlreiche offene Punkte - sowohl im Parlament als auch bei Landwirten und Verbänden!