Dr. Gero Hocker

Richtungswahl 2025: Aufbruch statt Stillstand

Wohl vor jeder Bundes- oder Landtagswahl überschlagen sich Medien und Parteien mit Blick auf den Wahltermin mit Superlativen. Häufig ist von einer „Schicksalswahl“ die Rede, von einer grundlegenden „Richtungsentscheidung“, manchmal sogar von der „letzten Chance“ vermeintlich negative Entwicklungen zu verhindern. 

Je näher der Termin rückt, umso häufiger werden auch vor der Bundestagswahl 2025 derartige Schlagworte benutzt werden. Aber tatsächlich werden die Wahlentscheidung am 23. Februar, vor allem aber auch die anschließende Legislaturperiode in einer für unsere Demokratie besonders herausfordernden Zeit stattfinden: aller Voraussicht nach werden dem nächsten Deutschen Bundestag so viele Parteien angehören wie niemals zuvor. Dies wird die Regierungsbildung vor besondere Herausforderungen stellen. Seit der Gründung der Bundesrepublik sind die politischen Ränder in unserer Gesellschaft nicht stärker gewesen. Und gleichzeitig ist das Vertrauen in die handelnden politischen Akteure bei den Menschen in unserem Lande und das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit unserer Demokratie nicht geringer gewesen als gegenwärtig. 

Die Ursachen sind vielschichtig und werden kontrovers diskutiert. Ich habe den Eindruck, dass gleichermassen die Ära von Angela Merkel wie auch die letzten drei Jahre Regierungszeit tiefe Spuren hinterlassen haben bei der Frage, ob unsere parlamentarische Demokratie in der Lage ist, die Alltagsprobleme der Menschen in Deutschland zu lösen und gleichermassen die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Bei Zuwanderung, Infrastruktur, Rente, Krankheit und Pflege, Verteidigung und Energie ist unser Land aktuell nicht wirklich zukunftsfähig und nachhaltig aufgestellt. Sechzehn Jahre lang sind nötige Reformen, etwa bei den umlagefinanzierten Sozialsystemen nicht erfolgt; wurde anstatt notwendige Investitionen in Schiene, Strasse und Brücken vorzunehmen der Sozialstaat ausgeweitet und aufgebläht; mit einem Satz: die teilweise bittere Medizin notwendiger Strukturreformen wurde vermieden, stattdessen wurden öffentliche Mittel zu häufig verwendet um den Eindruck zu erwecken, unpopuläre Reformen und Massnahmen seien entweder nicht erforderlich oder könnten schlichtweg später angegangen werden. Natürlich ist es bei vielen gewählten Abgeordneten beliebter, bei „Fridays for Future“ mit zu demonstrieren, anstatt notwendige Investitionen in Waffensysteme für unsere Bundeswehr zu fordern oder Mittel für die Sanierung unserer Autobahnen und Brücken bereit zu stellen. Die Aussage, Rente und Krankenversicherung seien auskömmlich finanziert, um gleichzeitig die Zuschüsse aus dem Steueraufkommen zu betreiben, ist populärer als die Frage zu stellen, wie die finanziellen Herausforderungen etwa bei der Altersvorsorge zwischen jung und alt gerecht zu verteilen sind. Und selbstverständlich ist es populärer (aber nicht verantwortungsvoll), einerseits eine Energiewende zu beschließen und sich gleichzeitig andererseits von grundlastfähigen Energien zu trennen, anstatt etwa Kohle- und Gasförderung auch aus einheimischen Ressourcen zu nutzen. Viele politische Herausforderungen der Gegenwart resultieren aus politischem Opportunismus, der in Zeiten niedriger Zinsen und ökonomischen Wachstums vorübergehend möglich erschien - während in Wahrheit auf diese Weise unpopuläre Reformen nur in die Zukunft verschoben wurden und so an Notwendigkeit nur zusätzlich gewonnen haben.

Auch in den vergangenen drei Jahren konnten diese notwendigen Reformen nur unzureichend verabschiedet werden - zu unterschiedlich waren die Vorstellungen darüber, wie diese Reformen aussehen müssten. Die Aufweichung der Schuldenbremse, die mittlerweile sowohl von rot und grün als auch von Union gefordert wird, wäre nichts anderes als die Fortsetzung der falschen Vorstellung, notwendige unpopuläre Reformen durch finanzielle Umverteilung wiederum in die Zukunft verschieben zu können. Wenn über derart grundlegende Überzeugungen derart verschiedene, unvereinbare Vorstellungen innerhalb einer Koalition existieren, ist es eine Frage der Verantwortung, nach so vielen Jahren des Stillstands nicht zusätzlich Zeit verstreichen zu lassen, sondern vor den Wähler zu treten und ihn entscheiden zu lassen über neue Mehrheiten und die Zukunft unseres Landes.

Am 23.2.2025 werden die Menschen darüber entscheiden, ob nach Jahren des opportunistischen Stillstands und später der mangelnden Einigungsfähigkeit während der Ampel unser Land tatsächlich die Aufbruchsstimmung erhält, die es so dringend benötigt - und ob es mit einer neuen Regierung gelingt, die Weichen wirklich auf Zukunftsfähigkeit zu stellen. Wir brauchen dringend eine Wirtschaftswende, die mit ihrem Wachstum für die Zukunft die Voraussetzungen schafft für soziale Umverteilung, Klimaschutz und nachhaltig finanzierte Altersversorgung in unserem Land. Gelingt es unserer parlamentarischen Demokratie hingegen nicht, nach über zwei Jahrzehnten diese und andere Herausforderungen mit Vernunft, Augenmaß und Kompromissbereitschaft anzugehen, sondern verschiebt sie ihre Lösung wiederum in die Zukunft, besteht die Gefahr, dass Menschen unserer Demokratie ihre Problemlösungskompetenz absprechen und sich deswegen noch häufiger von ihr abwenden. Die politischen Ränder könnten in diesem Falle bis zur Bundestagswahl 2029 so viel Zuspruch erhalten, dass Mehrheiten ohne sie in Deutschland nicht mehr möglich wären. 

Unsere Demokratie sollte aus ihrer Mitte und nicht von ihren Rändern bestimmt werden. Um dies auch nach 2029 zu verhindern, um Menschen in Deutschland sich mit ihr versöhnen zu lassen, muss sie in den kommenden vier Jahren liefern: bei Wirtschaft und Bildung, bei Zuwanderung und bei nachhaltigen Finanzen. Mit den Mehrheiten und den Konzepten der letzten Jahre wird dies nicht gelingen. Vernunft und Augenmaß, Leistungsbereitschaft und flache Hierarchien in Wirtschaft und Verwaltung hingegen können Kräfte in unserem Lande entfachen, die es sich selber am Schopfe aus seiner prekären Situation ziehen lassen. Hierfür lohnt es sich zu kämpfen: Für dieses Land. Für diese Gesellschaft. Für die Freien Demokraten.