Dr. Gero Hocker

Neue Züchtungsmethoden voranbringen

Die EU-Kommission hat im Juli dieses Jahres einen Vorschlag zur zukünftigen Regulierung neuer Züchtungsmethoden vorgelegt. Die Beratungen im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat dazu nehmen inzwischen Fahrt auf. Einige Akteure in Parlament und Rat wollen die Kommissionsvorschläge möglichst schnell beraten, um eine Einigung noch vor der Mitte kommenden Jahres bevorstehenden Europawahl zu forcieren. Der Kommissionsvorschlag sieht Ausnahmen von den für gentechnisch veränderte Organismen geltenden Bestimmungen für solche Pflanzen vor, die durch neue Verfahren erzeugt wurden, aber theoretisch auch durch herkömmliche Züchtungstechniken hätten gewonnen werden können. Im weiteren Ablauf wird nun etwa zu klären sein, wie weitreichend diese Ausnahmen sein sollen, wie entsprechende Produkte zukünftig zu kennzeichnen sind und ob sie beispielsweise im Ökolandbau zum Einsatz kommen dürfen.

 

Die globale Agrar- und Lebensmittelproduktion befindet sich zunehmend in einem enormen Spannungsfeld: Die Auswirkungen des Klimawandels einerseits und die stetig wachsende Weltbevölkerung andererseits bedingen, dass viele Aspekte im Agrarsektor ganz neu bewertet und gedacht werden müssen. Die Fläche, die weltweit für Agrarproduktion zur Verfügung steht, kann nur sehr begrenzt ausgeweitet werden und geht in vielen Regionen durch Erosion, Versalzung und Besiedelung sogar zurück. Die Landwirtschaft ist darüber hinaus von den Auswirkungen zunehmender Extremwetterereignisse sowie einer steigenden Zahl an Pflanzenkrankheiten und Schädlingen betroffen. Mit immer weniger Fläche und knappen Ressourcen immer mehr Lebensmittel zu produzieren und somit notwendigerweise die Effizienz zu steigern, wird die zentrale Aufgabe der kommenden Jahrzehnte für Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland, Europa und auch weltweit sein. Damit diese gebotene Intensivierung aber nicht auf Kosten der Umwelt, des Klimaschutzes oder der Biodiversität geht, dürfen wir Innovationen in der Landwirtschaft nicht im Wege stehen und ebenso wenig wertvolles Ackerland mit guten Erträgen aufgrund des Umweltschutzes aus der Produktion nehmen. Vielmehr müssen wir Nachhaltigkeit und Produktivität verstärkt zusammendenken und Ertragssteigerungen und Umweltschutz miteinander verbinden. Schließlich ist der Schutz unserer Lebens- und der landwirtschaftlichen Produktionsgrundlage in zentralem Interesse – nicht nur der Landwirtschaft selbst, sondern insbesondere auch der gesamten Gesellschaft.

 

Zur Bewältigung dieser vielfältigen und komplexen Herausforderungen der Zukunft kommt es mehr denn je auf die Technologieoffenheit in der Landwirtschaft an. Viele bahnbrechende Innovationen, wie etwa die Genschere CRISPR-Cas9, liefern einzigartige Chancen, nachhaltiger zu wirtschaften, das Klima zu schonen und höhere Erträge einzufahren. Bisher laufen wir der Entwicklung jedoch hinterher, anstatt sie anzuführen und mitzugestalten. Das führt zu erhöhten Abhängigkeiten und Bestandteile der Wertschöpfungsketten werden ins Ausland verlagert. Die ersten Auswirkungen in dieser Hinsicht zeigten sich bereits, als durch den Ukrainekrieg die internationalen Märkte auch im Agrarsektor unter Druck gerieten und viele Produkte gar nicht mehr oder nur mit immensen Preissteigerungen verfügbar waren. Für eine krisensichere und erschwingliche Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln müssen wir den Innovationsstandort Deutschland und Europa erhalten. Durch politische Rahmenbedingungen, die die Anwendung hierzulande derzeit fast unmöglich machen, besteht die Gefahr, dass die Weiterentwicklung dieser Technologien zukünftig nicht mehr hierzulande stattfindet.

 

Deshalb müssen neue Züchtungsmethoden als Instrument für Fortschritt und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft nutzbar gemacht werden. Im Jahr 2018 urteilte der EuGH jedoch, dass auch die neuen Züchtungsmethoden unter das Gentechnikrecht fallen. Die Rechtsprechung des EuGH basiert auf Regelungen des europäischen Gentechnikrechts, das wiederum auf dem wissenschaftlichen Kenntnisstand der 1990er Jahre fußt. Das aktuelle EU-Gentechnikrecht verhindert deshalb durch eine politische Überregulierung, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse, für die die französische Genetikerin und Biochemikerin Emmanuelle Charpentier und die US-amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna im Jahr 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurden, auf europäischen Äckern zum Einsatz kommen können.

 

Dabei stellen neue Züchtungsverfahren eine bahnbrechende Erweiterung der bisherigen Methoden dar. Die als Genome Editing bezeichneten Techniken ermöglichen, das Genom eines Organismus deutlich schneller, zielgerichteter und somit kostengünstiger zu verändern, als dies bei herkömmlichen Verfahren der klassischen Züchtung der Fall ist. Das CRISPR-Cas9-Verfahren zum Beispiel ist ein präzises Instrument, um die DNA punktuell zu verändern, einzelne Gensequenzen auszuschneiden und auszutauschen oder auch neu einzufügen. Hierbei erkennt das Cas-Protein zunächst mit Hilfe der gebundenen Guide-RNA eine vorher genau definierte Zielfrequenz und trennt den DNA-Doppelstrang an einer präzisen Stelle. Dadurch werden die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle aktiviert und der DNA-Strang wieder zusammengefügt. Dabei kommt es meist zu Mutationen, also der Veränderungen der DNA. Dieser grundlegende Mechanismus verläuft ähnlich wie es bei natürlichen Mutationen unzählbar oft bei allen Organismen in der Natur zufällig passiert. Ein wesentlicher Unterschied zu herkömmlichen Verfahren, die bisher zum Einsatz kommen, besteht jedoch darin, dass Mutationen mittels Genome Editing-Verfahren präzise und nicht zufällig herbeigeführt werden - also zielgerichtet und an einer festgelegten Stelle der DNA. Im Genom bleiben nach dieser Veränderung keine Sequenzinformationen zurück, die auf eine technisch durchgeführte Mutation schließen lassen. Die veränderte DNA-Sequenz ist daher nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden.

 

Neue Züchtungsmethoden verringern den Einsatz von Insektiziden, fördern Biodiversität und sichern Erträge. Gerade im Hinblick auf den fortschreitenden Klimawandel kommt den neuen Züchtungsverfahren deshalb eine große Bedeutung zu. Weniger für Pflanzenkrankheiten und sich klimabedingt ausbreitende Schädlinge anfällige Pflanzenzüchtungen sind ebenso möglich wie die Domestizierung trockenheits- und salztoleranter Wildpflanzen, um die Auswahl klimaresilienter Nutzpflanzen zu erhöhen. Mit CRISPR-Cas9 können Forschungsziele sicherer, präziser und vor allem schneller als mit konventionellen Züchtungsmethoden erreicht werden, da der Austausch der Gene selektiv erfolgt. Das Erreichen von mehr Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft bei gleichzeitiger Ertragssicherung ist nur durch Anwendung neuer Züchtungsmethoden möglich. Die Wissenschaft und Anwendungen im Ausland zeigen das Potential: Trotz riesiger Anbauflächen wurden keinerlei gegebenenfalls schädliche Auswirkungen von genetisch veränderten Organismen auf Mensch oder Umwelt nachgewiesen. Wovor haben wir also Angst? Um zukünftig die globale Versorgungssicherheit und eine nachhaltige Landwirtschaft sicherzustellen, brauchen wir endlich mehr Mut und Innovationsfreude auf europäischen Äckern. Deshalb ist die Novellierung des EU-Gentechnikrechts ein Schlüsselthema für die Agrarpolitik der Zukunft.