Dr. Gero Hocker

Mehrwertsteuerbefreiung für Obst- und Gemüse?

Ob an der Tankstelle, am Spargelstand oder an der Supermarktkasse: Die galoppierende Inflation ist in unser aller Leben angekommen und stellt viele Verbraucher vor enorme Herausforderungen, sofern am Ende des Monats eine schwarze Null auf dem Konto stehen soll. 

Dafür ist nicht allein der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verantwortlich. Die EZB-Geldflut der letzten Jahre wie auch der Arbeitsstop in chinesischen Häfen, deren Regierung eine strikte Zero-Covid verfolgt, tragen ebenfalls einen Teil zu den steigenden Preisen bei. Waren, die nicht die chinesischen Häfen verlassen, fehlen eben Wochen später zur Befriedigung der Bedürfnisse von Kunden in Übersee, auch in Europa.

Auf diese Weise trifft zu viel Geld auf zu wenig Warenangebot. Das hieraus resultierende Ungleichgewicht kann von Politik alleine nicht wirklich überwunden werden. Trotzdem muss sie die Voraussetzungen dafür setzen, dass Marktteilnehmer es überwinden können und besondere soziale Härten gemildert werden.

Dazu gehört Zweierlei: Zum einen die mittelfristige Vergrößerung des Warenangebotes, was etwa im Bereich der Landwirtschaft bedeutet, keine Flächen  brachliegen zu lassen und ökologische Vorrangflächen vollständig freizugeben. Politische Ideologien müssen in diesen Zeiten überwunden werden und auf jedem Hektar Lebensmittel produziert werden – übrigens nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch um die Situation in den ärmsten Ländern dieser Welt zu entlasten.

Gleichzeitig sollte nicht nur die landwirtschaftlich genutzte Fläche nicht weiter durch politische Beschlüsse verkleinert werden. Die zur Verfügung stehende Fläche sollte auch möglichst effizient genutzt werden - ökonomisch und nachhaltig! Während das Wort „Flächeneffizienz“ in den vergangenen Jahren in bestimmten politischen Kreisen geradezu verpönt war, weil Effizienz etwa durch neue innovative Pflanzenzüchtung, Düngung oder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erreicht wird, müssen wir besonders in Zeiten wie diesen jede einzelne Pflanze optimal versorgen. Denn der Verzicht auf landwirtschaftlichen Ertrag in Deutschland und Europa treibt nicht nur die Preise weiter in die Höhe, sondern vergrößert den Mangel auf den Tellern der Menschen in ärmeren Regionen unserer Erde.

Zum Zweiten gehört es zur Aufgabe des Staates, diejenigen zu unterstützen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Wochen ein weiterer Entlastungsvorschlag in die Debatte eingebracht, der angeblich zeitnah Wirkung entfalten könnte: Die Mehrwertsteuerbefreiung auf Obst und Gemüse. Beim Blick auf die Zahlen fällt jedoch auf, dass das vorgegebene Ziel durch diese Maßnahme nicht einmal ansatzweise erreicht werden könnte. Das liegt nicht nur an der geringen staatlichen Belastung, die im Gegensatz zum Sprit bei gerade einmal 7% MwSt. liegt, sondern auch am geringen Anteil des verfügbaren Einkommens, der in Deutschland durchschnittlich für Obst und Gemüse ausgegeben wird.

Im Jahr 2021 haben Haushalte mit einem Monatseinkommen von 1000-1500 Euro durchschnittlich grade einmal 16,96 Euro für Äpfel, Kartoffeln und Co, ausgegeben sodass ein Wegfall der Mehrwertsteuer – selbst mit großzügigen 20% Inflation eingerechnet – in diesem Jahr bei ganzen 1,33 Euro pro Monat und Haushalt liegen würde. Dass diese „Entlastung“ irgendeine Sorgenfalte der tatsächlich Bedürftigen glätten könnte, kann nicht ernsthaft von irgendeinem Politiker angenommen werden.

Statt pauschaler Steuersenkungen, die einkommensschwächeren Schichten ein und einkommensstärkeren Schichten zwei Rubbellose extra im Monat ermöglichen würden, hat die Bundesregierung durch die Entlastungspakete I und II treffsicherere Maßnahmen angestoßen. Ob durch die einmalige Zahlung für Empfänger von Sozialleistungen von 200 Euro oder dem Bonus 2022 von 100 Euro pro Kind: Bisher konnte Unterstützung unbürokratisch und zielgenau erfolgen. Anstatt symbolische Debatten über die Senkung von Verbrauchssteuern zu führen, sollte tatsächliche Entlastung zielgenau und gerecht auch etwa über die Einkommensteuer erfolgen. Bei der Pendlerpauschale etwa wurde genau dieser Weg beschritten. Ihn gilt es  weiter zu verfolgen!