Jede Ampel zeigt die meiste Zeit rot und grün
Seit dem 23.2. werden die Ursachen für das Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag in Fraktion und der Partei intensiv diskutiert. Das uneinheitliche Abstimmungsverhalten beim Zustrombegrenzungsgesetz, die Wahlrechtsreform mit großen Herausforderungen für Parteien, die traditionell vom Stimmensplitting profitieren, der verspätete Ausstieg aus der Ampel-Koalition oder auch die angebliche „Bindung“ an die Union sind die häufigsten Erklärungen, die vorgetragen werden.
Für mich existiert kein kausaler Zusammenhang zwischen einer der genannten Erklärungen und dem Wahlergebnis. Selbstverständlich ist das einheitlicheAbstimmungsverhalten einer Fraktion ein Wert an sich. Zum Zeitpunkt der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz stand die FDP allerdings schon seit vielen Monaten unterhalb der 5-Prozent-Hürde. Das Ergebnis vom 23.2.2025 ist deswegen ein Tiefpunkt, der sich bereits über mehrere Jahre deutlich abgezeichnet hat. Die Tendenz abnehmender Zustimmungswerte und krachend verlorener Landtagswahlen seit 2021 hat unmittelbar mit dem Eintritt in das letzte Regierungsbündnis begonnen und konnte zu keinem Zeitpunkt während der vergangenen Jahreumgekehrt werden. Die überwiegende Zahl sowohl unserer Mitglieder als auch potentieller Wähler hat vom ersten Tag mit diesem in der Geschichte noch nie dagewesenen Regierungsbündnis gefremdelt – und ich schließe mich selber da ausdrücklich ein.
Tatsächlich hat sich sehr schnell nach dem Beginn der selbst ernannten Fortschrittskoalition gezeigt, dass die Koalitionäre teilweise diametral verschiedeneVorstellungen von „Fortschritt“ besitzen. Der Fortschrittsbegriff bedeutet für uns Freie Demokraten vor allem technologische Innovationen, Digitalisierung, innovative Züchtungsmethoden, Künstliche Intelligenz, gesellschaftspolitisch mehr Chancen- statt Ergebnisgleichheit, Reformen unserer sozialenSicherungssysteme, die endlich den allzu lange ignorierten demographischen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft gerecht werden und Zuwanderung, die sich wieder an Rechtsstaatlichkeit anstatt Beliebigkeit orientiert.
Die Verschiedenheit der Vorstellungen über die Zukunft unseres Landes ist im Grunde bereits nach den ersten Wochen der Legislaturperiode erkennbar gewesen.Insbesondere nach dem Scheitern von „Jamaika“ vier Jahre zuvor haben viele vor dem vermeintlich leichtfertigen Verlassen eines Regierungsbündnisses zurückgeschreckt. Der Vorwurf, man sei nicht in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und sich ihrer dauerhaft als gewachsen zu erweisen hat die FDP zu lange an derAmpel festhalten lassen. Der quasi Dauerstreit zwischen den Koalitionären hat jedoch ebenso den Eindruck mangelnder Regierungsfähigkeit vermittelt wie ein vermeintlich übereilter Ausstieg es hätte - und hat gleichermaßen das falsche Bild gezeichnet, trotz dauerhaften Streits an Posten und Positionen zu kleben.Spätestens mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 war klar, dass grüne Wunschträume ohne die zugunsten des „Klima- und Transformationsfonds“ umgewidmeten Mittel in Höhe von 60 Mrd. nicht länger finanzierbar gewesen sind. Entweder hätten Grüne von liebgewonnenen Projekten ablassen - oder die FDP hätte die Koalition verlassen müssen. Beides ist nicht geschehen.
Wie kann es für uns Freie Demokraten jetzt weitergehen?Vereinzelt wird in diesen Tagen die Frage gestellt, ob wir Freie Demokraten überhaupt regierungsfähig seien, wenn unsere letzten beiden Regierungsbeteiligungen 2009-2013 und 2021-2025 zur außerparlamentarischen Opposition geführt haben. In der Geschichte unseres Landes ist die FDP auch nach Regierungsbeteiligungen weitaus häufiger wieder in den Deutschen Bundestageingezogen als unter 5% geblieben. Die Frage gehtdeswegen ins Leere. Anders als andere Regierungen mit FDP-Beteiligungen zuvor waren diese beidenLegislaturperioden allerdings gleichermaßen geprägt von offenem und andauerndem Streit der (verschiedenen) Partner. Für mich steht deswegen fest: Liberale sind regierungsfähig – öffentlich zur Schau gestellteMeinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern werden hingegen nicht goutiert. Deswegen gehören sie konsequent hinter verschlosseneTüren!
Sowohl 2013 als auch 2025 war die liberale Handschriftam Ende der Wahlperiode mit wenigen Ausnahmen kaumerkennbar. Zahlreiche Gesetzesinitiativen aus grünen undroten Häusern wurden in den vergangenen Jahren verbessert, einige sogar vom Kopf auf die Füße gestellt.Außer der „Einhaltung der Schuldenbremse“ dürfte vielenWählern und auch Mitgliedern jedoch wenig „Zählbares“der liberalen Regierungsbeteiligung von 2021-2025einfallen. Künftige Koalitionspartner sollten sich daraufverständigen, dass innerhalb der von ihnen jeweils durchMinisterien verantworteten Zuständigkeiten eine bessereErkennbarkeit der eigenen Handschrift entsteht.Tatsächlich hätten eine nach liberalen Vorstellungen beschlossene Unternehmens- oder gar Einkommensteuerreform oder eine spürbare Reduzierung von Bürokratie die Ausgangslage der Freien Demokraten vor der Bundestagswahl deutlich verbessern können.
Schon 2013 wurde der Versuch unternommen, das liberale „Erbe“ aufzuteilen. Auffallend häufig sprachen Grüne von „Freiheit“, und Christdemokraten bekannten sich ebenso erstaunlich häufig zu den Grundpfeilern von sozialer Marktwirtschaft und Wettbewerb. Solche Versuche waren 2013 und werden ebenso 2025 nicht fruchtbar sein. Denn Liberalität ist universell und keine Eigenschaft, die man sich beliebig anheften oder sie wieder ablegen kann. Ökonomische Freiheit ist für uns unteilbar verbunden mit und undenkbar ohne gesellschaftliche Freiheit – und umgekehrt mündet die gesellschaftliche Freiheit des Einzelnen häufig in den Wunsch, ebenso ökonomisch selbstbestimmt zu sein. Bekennt sich eine politische Partei nicht zuallererst zur Freiheit des Individuums, wird sie beide Spielarten von Freiheit niemals gleichermaßen verstehen oder gar gemeinsam denken können.
Wir Freie Demokraten in Niedersachsen sehen schwierigen Zeiten entgegen: spätestens nach Landes- und Bundesparteitag wird das mediale Interesse an uns deutlich abnehmen. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten zusammenrücken müssen. Wir sollten häufig zum Diskutieren zusammenkommen. Wir müssen den Wiederaufbau der FDP aus den kommunalen Strukturen heraus bestreiten. Wir müssen wieder neu Stein auf Stein setzen. Vorstandsmitglieder müssen häufig die Orts- und Kreisverbände besuchen. Wir müssen die Kräfte bündeln und inhaltlich aber auch personell frühzeitig die Weichen für die Kommunal- aber auch Landtagswahl stellen.
In diesem Jahr bin ich seit dreißig Jahren Mitglied der FDP. Ich verdanke ihr unendlich viel, und ich bin für jeden einzelnen Tag meiner Mitgliedschaft dankbar. Wenn gewünscht, werde ich gerne meinen Beitrag leisten dafür, dass die Freien Demokraten die für uns liegenden dunklen Monate und Jahre überstehen, 2027 wieder in den Landtag und 2029 in den Deutschen Bundestag einziehen.