Ernährungssicherheit unter Beschuss
Neben dem unglaublichen Leid und Unrecht, welches den Menschen in der Ukraine aktuell widerfährt, rückt nun auch ein weiteres Thema in den Vordergrund, welches für viele Europäer bisher als selbstverständlich galt: die Lebensmittel- und Energieversorgung.
Lange galt es, den Versorgungssektor umzugestalten, wobei nicht zuletzt in Kauf genommen wurde, mit teilweise praxisuntauglichen und manchmal widersprüchlichen Restriktionen die Produktion guten Gewissens zu extensivieren und teilweise ins Ausland zu verschieben. Nach der Devise „selber eine weiße Weste haben und das, was man nicht selbst produzieren kann, besorgen wir uns auf dem Weltmarkt“ kommen wir nun schneller als gedacht an die Grenzen des politisch und fachlich machbaren. Der Krieg in der Ukraine zeigt auf, wie naiv die Sichtweise gewesen ist, hochwertige und nachhaltige Produktion innerhalb Deutschlands zu unterbinden und den nationalen Bedarf zu decken mit Lebensmittelimporten aus dem Ausland, die zu deutlich niedrigeren Standards erzeugt worden sind. Der Überfall Russlands auf die Ukraine wird nun unmittelbare Folgen auch für die Ernährungswirtschaft in Europa, Deutschland und für den einzelnen Verbraucher haben.
So sind die Ukraine und Russland bedeutende Akteure auf dem internationalen Agrarmarkt. Russland ist seit 2017/18 mit damals mehr als 41 Mio. Tonnen der weltweit größte Exporteur von Weizen. Die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerdeböden liegt an fünfter Stelle der größten Weizenexporteure. Der Anteil beider Länder am weltweiten Weizenexport beträgt knapp 30 Prozent – Tendenz steigend. Direkt betroffen als Getreideabnehmer von russischen und ukrainischen Exporten sind Länder aus Afrika, dem Nahen Osten und Süd- und Südostasien. Da aber der Agrarrohstoffhandel global erfolgt, wird die Verknappung von Getreide, Ölsaaten und Mais auch bei uns zu spüren sein.
Die Logistik zu den Häfen ist bereits unterbrochen und Hafenanlagen der wichtigen Exporthäfen sind teilweise zerstört worden. Dadurch erreicht der Weizenpreis an den europäischen Börsen schon jetzt neue Rekordstände. Die Devise muss nun lauten - ähnlich wie für die Energiepolitik: vermehrt auf die eigene, inländische Produktion setzten, welche zumindest im Bereich Getreide von hohen Selbstversorgungsgraden geprägt ist. Dies setzt jedoch auch eine optimale Ernährung der Pflanzen mit den wichtigen Nährstoffen voraus, was uns vor das nächste große Problem stellt.
Für Deutschland ist Russland der bedeutendste Erdgaslieferant: Erdöl und Erdgas machen 59 % aller Importe aus Russland aus. Dieses wird zur Herstellung synthetischen Stickstoffdüngers im Haberbosch-Verfahren benötigt. Stickstoff stellt als Biomasse-Bildner den wichtigsten Pflanzennährstoff dar und beeinflusst maßgeblich das Ertragspotenzial aller Kulturarten. Darüber hinaus gilt Russland als ein bedeutsamer Phosphorlieferant und weltweit zweitgrößter Kalidüngeranbieter. Phosphor und Kalium bilden ebenfalls Makronährstoffe, welche essentiell für Stoffwechselvorgänge und den Wasserhaushalt der Pflanze sind. Ausfallende Düngerimporte und der Wegfall von Gaslieferungen führen zu einer Verknappung der Düngermengen, geringeren Ernten und zu höheren Preisen an den Weltmärkten, die schließlich an den Endkunden weiter gegeben werden. Dies trifft insbesondere die vieharmen Regionen Deutschlands und der EU, welche nicht oder kaum über in der Tierhaltung anfallende Wirtschaftsdünger, bestehend aus Gülle und Mist, verfügen. Hier gilt es nun, diese wertvollen Düngemittel, die neben den wichtigsten Nährstoffen vor allem aber organische Substanz liefern und damit den Boden fruchtbarerer machen und seine CO2-Speicherkapazitäten maßgeblich erhöhen, transportwürdiger zu machen und in eben diese Regionen zu befördern. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft könnten so Nährstoffe besser verteilt und langfristig mineralische Düngemittel aus endlichen Ressourcen eingespart werden.
Eine landesweite ausreichende Versorgung mit organischen Düngemitteln setzt allerdings auch den Erhalt der tierhaltenden Betriebe voraus, welche nun aufgrund der steigenden Getreidepreise am Weltmarkt vor großen wirtschaftlichen Problemen hinsichtlich des Futtermittelzukaufes stehen. Die Mischfutterindustrie muss teuren Mais – wenn denn vorhanden - importieren und auch das Getreide steigt täglich im Preis an. Für Tierhalter, die ihr Futtergetreide selber anbauen, lohnt es sich auch aufgrund der bereits am Boden liegenden Preise insbesondere im Schweinebereich in der Folge der Corona-Pandemie sowie der Afrikanischen Schweinepest wohl kaum mehr Getreide zu verfüttern, anstatt es teuer zu verkaufen. So besteht nun aktuell die Gefahr, dass der Strukturwandel der heimischen Tierhaltung auf diese Weise weiter beschleunigt wird.
Höhere Preise für Grundnahrungsmittel treffen vor allem ärmere bzw. einkommensschwächere Menschen in der Welt und in Deutschland, was die Schere zwischen arm und reich vergrößert. Weiterhin auf Extensivierung der Landwirtschaft zu setzen und damit zu akzeptieren, dass die Ernährungssicherheit abnimmt, erscheint aktuell vollständig aus der Zeit gefallen. Ebenso wenig sollten im Rahmen der GAP 2023 eine Stilllegung von 4% der Ackerflächen umgesetzt oder durch die Farm-to-Fork Strategie eine Halbierung des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln und einen 25% Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen festgelegt werden.
Ein weiteres Vorantreiben von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung schließt hohe Erträge jedoch schon lange nicht mehr aus. Hier ist die gute fachliche Praxis gefragt, um Dünge- und Pflanzenschutzmaßnahmen so effektiv wie möglich zu gestalten. Mit pauschalen Restriktionen gelangen wir jedoch weder an das eine noch an das andere Ziel. Europa und die Bundesrepublik brauchen eine starke und vor allem unabhängige Landwirtschaft, um mit dieser Krisensituation umgehen zu können und damit die Versorgung vieler Menschen sicherstellen zu können - in Deutschland und in der Welt!