Containern jetzt legal?
Noch gut erinnere ich mich an meine Großmutter, die eine heute fast antiquiert anmutende Einstellung zum Umgang mit Lebensmitteln an den Tag legte: Überreifes Obst wurde in Rote Grütze umgewandelt oder im Kuchen verwertet. Der Teller wurde ohnehin prinzipiell leer gegessen. Und blieb doch mal etwas übrig, wurde es an die Tiere verfüttert oder die Kartoffeln wurden am nächsten Tag in der Pfanne zubereitet. Bestimmt sind einige dieser Vorstellungen nicht mehr ganz zeitgemäß, niemals wäre sie hingegen auf die Idee gekommen, Essen einfach so in die Tonne zu werfen.
Natürlich verändert sich unser Bewusstsein – mal schlagartig durch externe Ereignisse wie eine Pandemie oder den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, mal aber auch schleichend über einen längeren Zeitraum hinweg. Deutlich wird dieser Wandel besonders, wenn man verschiedene Generationen nebeneinander stellt: Das Bewusstsein für gesunde Ernährung oder eine umweltschonende Lebensweise ist bei vielen Menschen mittlerweile stark verankert. Paradoxerweise kann gleichzeitig niemand behaupten, dass mit Nahrungsmitteln noch mit so einer Wertschätzung umgegangen wird, wie es für die älteren Semester völlig selbstverständlich ist.
Stattdessen werden in Deutschland pro Kopf und Jahr 80kg Lebensmittel weggeworfen. Diese schockierende Zahl ist nicht nur Ausdruck unserer Überflussgesellschaft, sondern auch ein Auftrag an uns Politiker. Denn so lange Hungersnöte in der Welt existieren, ist die Vernichtung von noch genießbaren Lebensmitteln ethisch höchst fragwürdig. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich den gemeinsamen Vorstoß des Justiz- und des Landwirtschaftsministeriums, welcher die Länder durch Änderungen der Richtlinien des Straf- und Bußgeldverfahrens auffordert, unter bestimmten Voraussetzungen das sogenannte „Containern“, also die Aneignung von entsorgten Lebensmitteln, künftig unter Straffreiheit zu stellen.
Diese Initiative ist ein starkes Symbol, um uns alle für das Problem der Lebensmittelverschwendung zu sensibilisieren, wie ich auch gegenüber dem SPIEGEL zum Ausdruck gebracht habe: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/straffreies-containern-letzte-generation-begruesst-vorschlag-von-oezdemir-und-buschm…
Gleichzeitig wird diese Initiative nur einen überschaubaren Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung leisten. Mit einem Anteil von unter 10% ist der Groß- und Einzelhandel nur für einen Bruchteil der Lebensmittelverschwendung verantwortlich. Ein viel größerer Hebel sind wir Verbraucher, da mehr als jedes zweite entsorgte Lebensmittel auf unser Konto geht. Deshalb sind insbesondere jene Maßnahmen erfolgsversprechend, die direkt beim Konsumenten ansetzen.
Einige setzen beim Eindämmen der Lebensmittelverschwendung auf die Verteuerung von Lebensmitteln. Diese Strategie halte ich in Anbetracht der Kopfschmerzen, die einkommensschwächere Haushalte schon heute beim Einkaufen haben, schlichtweg für zynisch. Es braucht weiterhin erschwingliche Lebensmittel, aber gleichzeitig müssen wir mit mehr Sensibilität in der Gesellschaft, mit besseren politischen Rahmenbedingungen und möglicherweise mehr technischen und logistischen Innovationen dazu beitragen, dass von unseren Einkäufen mehr im Magen und weniger im Mülleimer landet. Bisher wird beispielsweise aus dem Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums immer noch viel zu oft ein Entsorgungsauftrag abgeleitet. Lebensmittelspenden können nicht durchgeführt werden, weil bürokratische Hürden im Weg stehen. Und Startups, die beispielsweise die Haltbarkeit von Lebensmitteln durch natürliche Beschichtungen verbessern wollen, wird aufgrund des Steuerrechts zu wenig Wagniskapital bereitgestellt.
Containern unter bestimmten Umständen nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen ist somit ein gutes Symbol für weniger Lebensmittelverschwendung. Gleichzeitig sollten wir den gemeinsamen ersten Schritt nur als Auftakt verstehen, um in dieser Legislaturperiode beim Thema Lebensmittelverschwendung echte Fortschritte zu machen.