Bürgerrat: Ein Experiment ohne Wiederholungsbedarf.
Mehrere Monate hat der Bürgerrat mit seinen zufällig ausgelosten 160 Teilnehmern die Köpfe zusammengesteckt. Am Ende des Prozesses stehen neun Empfehlungen an den Deutschen Bundestag, die in drei Präsenzwochenenden sowie sechs online-Veranstaltungen erarbeitet worden sind. Wer Neues erwartet hat, wurde enttäuscht: Ob ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder, die Einführung eines verpflichtenden Labels in der Tierhaltung oder eine Steuersenkung auf alle Bio-Produkte – kein Vorschlag, der nicht schon mal von mindestens einer Partei oder einem Dutzend Interessenvertretungen vorgebracht worden wäre.
Da eine ganze Reihe Forderungen sogar mit dem FDP-Parteiprogramm übereinstimmen, wird deutlich, dass Kritik am Bürgerrat nichts mit den vorgestellten Empfehlungen zu tun hat, sondern auf Grundlage unseres anderen Verständnisses von Demokratie entsteht: die deutsche parlamentarische Demokratie mit ihren Abgeordneten als Repräsentanten des Volkes - die auch die politische Verantwortung ihrer Entscheidungen tragen müssen - ist ein System, das sich bewährt hat und auf das wir stolz sein können. Politiker tauschen sich mit Bürgern, NGOs und Verbänden ihres Fachbereiches aus, um sich ein umfängliches Bild machen und eine Entscheidung treffen zu können - und müssen sich am Ende einer Legislaturperiode vor dem obersten Souverän - dem Wähler - verantworten. Für die Empfehlung von Bürgerräten, ihre Sinnhaftigkeit und Praktikabilität übernimmt niemand die politische Verantwortung. Ganz im Gegenteil sind nicht einmal die Namen aller Teilnehmer bekannt.
Anstatt Abwägungsprozesse oder Kompromisse zu formulieren, wirkt der Abschlussbericht vielmehr wie ein „Wünsch Dir was“, zumeist auf Kosten anderer bzw. dem Steuerzahler. Die in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse spielte dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, warum es „gerechter“ sein soll, wenn kinderlose Eltern mit ihren Steuern das kostenlose Kita-Mittagessen der Kinder aus wohlhabenden Familien finanzieren würden. Aktuell müssen Eltern die Verköstigung ihrer Kinder in den Kitas anteilig übernehmen - gestaffelt nach ihrem Einkommen.
In Zeiten angespannter Haushalte muss der Staat mehr denn je zu seinen Kernaufgaben zurückfinden. Millionen in eine zufällig ausgeloste Gruppe von Bürgern zu investieren und sich zu erhoffen, Herausforderungen schneller lösen zu können als das gewählte Parlament, zeugt mindestens von Naivität und ist dem Steuerzahler nur schwer zu vermitteln.
Auch wenn es opportun zu sein scheint, besonders in Zeiten, während derer unsere Demokratie unter Druck steht: nicht Bürgerräte stärken unsere Demokratie, sondern die Aufwertung desjenigen Ortes, an dem gesellschaftliche Konflikte ausgetragen werden müssen: unser Parlament! Hier zu diskutieren, zu streiten, Kompromisse und schließlich einen demokratisch herbeigeführten Konsens zu finden, ist nicht immer einfach, aber es ist der beste Weg. So ehrlich sollte sich Politik machen.