Dr. Gero Hocker

Lösungsansätze für die Agrarpolitik:

Dass hinter dem Frust von Landwirten mehr steht als nur die Agrardiesel- und Kfz-Steuer-Maßnahmen, zeigen die fortdauernden Proteste. Die unüberlegte und übereilte Streichung der Kfz-Steuerbefreiung in der Landwirtschaft wurde unbefristet zurückgenommen, denn es drohte ein unverhältnismäßiger Bürokratieaufwand für die Landwirtschaft. Der Abbau der Steuererleichterungen beim Agrardiesel soll nun über drei Jahre verteilt werden. Das schafft Planbarkeit für die Betriebe und ermöglicht der Politik, entstehende Belastungen in anderer Weise zu kompensieren. Dennoch halten die Demonstrationen weiter an. Denn mit der Verkündung der einst geplanten Landwirtschafts-Kürzungen im Zuge der Haushaltskonsolidierung für 2024 wurde viel Ärger der letzten Jahre entfesselt. 

Dabei sind viele der Problemstellen deutlich älter als die Ampel-Koalition. Während die Ampel es unter FDP-Einfluss geschafft hat, wissenschaftsferne Entscheidungen wie ein Glyphosatverbot abzuwenden und in Sachen Transparenz bei der Tierhaltung große Schritte macht, wurden unpraktikable Umwelt- und Tierschutzauflagen verbunden mit immensen Dokumentationspflichten von Vorgängerregierungen ins Leben gerufen. Politik hat in den vergangenen Legislaturperioden gesetzliche Auflagen für landwirtschaftliche Produktion in Deutschland sukzessive erhöht und ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch laufend verschlechtert. Landwirtschaft wurde immer mehr in die Abhängigkeit staatlicher Zuwendungen gedrängt. Ironischerweise führten ausgerechnet an staatliche Subventionen geknüpfte Auflagen zu den großen Problemen, weil diese dem Staat viel Einfluss auf betriebliche Abläufe ermöglichen, indem sie z. B. ackerbauliche Entscheidungen vorgeben. Viele Fehlentscheidungen haben ihre Ursache in dem Versuch, gesellschaftliche Vorstellungen einer romantischen Landwirtschaft umzusetzen, ohne die Realität der fehlenden Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern sowie die Herausforderungen unterschiedlicher Produktionsstandards auf unserem globalen Markt zu berücksichtigen. 

In einer Zeit, in der immer mehr Selbstständige sich die Frage stellen, ob sie unter diesen Umständen weitermachen wollen, muss Politik wachsam zuhören und gewohnte Regelungen überdenken. Ansätze liegen etwa in der Stärkung der betriebswirtschaftlichen Risikovorsorge. Möglichkeiten einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage und die Anwendung steuerlicher Gewinnglättung müssen geschaffen werden und Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden. 

Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist zudem die Angleichung von Produktionsstandards im gemeinsamen EU-Binnenmarkt essentiell. In den vergangenen Jahrzehnten hat Deutschland bei neuen EU-Verordnungen in der nationalen Umsetzung immer draufgesattelt. Spielräume in EU-Verordnungen wurden für deutsche Landwirte so eng wie möglich ausgelegt – egal, ob es um tierhaltende Betriebe, Ackerbauern oder spezialisierte Betriebe mit Sonderkulturen ging. Und wenn die EU mit ihren Vorgaben nicht schnell genug war, ist Deutschland mit nationalen Alleingängen vorgeprescht. Man denke an das Insektenschutzprogramm, das zu zahlreichen Einschränkungen im Pflanzenschutz führte, mit denen deutsche Landwirte im EU-Binnenmarkt allein dastehen. Mit der SUR-Verordnung, die im Herbst glücklicherweise abgelehnt wurde, hatte die EU sogar noch zusätzlich mehr Einschränkungen drauflegen wollen – der deutsche Alleingang wäre nicht honoriert worden, sondern hätte im Gegenteil zur massiven Benachteiligung derjenigen geführt, die in der Vergangenheit bereits Fortschritte erzielt haben. 

Sowohl im Ackerbau als auch in der Tierhaltung müssen höhere Produktionsbedingungen und Dokumentationspflichten, die über die EU-Mindestanforderungen hinaus gehen, endlich wieder heruntergefahren werden, wenn nicht abzusehen ist, dass andere Mitgliedstaaten zeitnah dem „Vorbild Deutschland“ folgen. Konkret bedeutet das etwa, im Rahmen des Insektenschutzprogramms Auflagen wie Pflanzenschutzausbringungs-Verbote in Schutzgebieten zurücknehmen. Landwirten wurde immer versichert, dass Schutzgebiete sich nicht auf die Produktion auswirken. Daran sollte sich Politik wieder erinnern. Ein weiteres Beispiel sind die Nitratwerte, bei denen Deutschland im Gegensatz zu anderen Mitgliedsstaaten jahrelang nur die hohen Werte aus einem Belastungs-Messstellennetz an die EU gemeldet hatte, anstatt die durchschnittlichen Werte aus dem repräsentativen Messnetzes heranzuziehen. Daraus entstandene Dokumentationspflichten im Rahmen der von der EU geforderten Novellierung der Düngeverordnung sind wohl weltweit einmalig. Um Verhältnismäßigkeit wieder herzustellen, müssen wir diese Dokumentationspflichten wieder entschlacken und Mehrfachdokumentationen abschaffen. Auch die Düngepraxis erfordert wieder mehr Praktikabilität und Flexibilisierung: Düngung nach Pflanzenbedarf muss möglich sein. Zudem muss neben der Landwirtschaft dringend die Rolle anderer potenzieller Verursacher von erhöhten Nitratwerten genauer untersucht werden, wie etwa marode Abwassersysteme und die Einleitung ungeklärter Abwässer in Flüsse. 

Oft reichen allerdings schon allein die Mindestanforderungen aus Brüssel, um Kopfschütteln zu ernten. So sind beispielsweise in der GAP sogenannte Öko-Regelungen vorgesehen, die unter anderem pauschale Flächenstilllegungen von 4% der produktiven Agrarfläche vorsehen. Damit werden aus vermeintlichen Umweltschutzgründen Ertragseinbußen hingenommen, die gerade vor dem Hintergrund einer wachsender Weltbevölkerung sowie zunehmender Ernteausfälle aufgrund von Extremwettereignissen oder Kriegen schlicht nicht vertretbar sind. Umwelt-, Klima- und Artenschutz sind ohne Frage wichtig, um die Grundlage unser aller Zukunft zu sichern. Doch im Instrumentenkasten zur Erreichung dieser Ziele gehören Stilllegungen und fantasielose Verbotspolitik eliminiert. Die Bundesregierung sollte dies auch auf EU-Ebene entschieden vortragen.

Stattdessen müssen Innovationen in Technik, in Züchtung, im betrieblichen Management etc. gefördert und in die Fläche gebracht werden, die höhere Erträge bei gleichzeitig mehr Umwelt- und Naturschutz zu ermöglichen. Für Landwirtschaft und Tierhaltung liegen in der Digitalisierung zahlreiche Chancen, die bereits immer besser genutzt werden. Voraussetzung für die Nutzung dieser Potenziale ist aber eine flächendeckende, leistungsfähige digitale Infrastruktur auf der Basis von Glasfaseranschlüssen und 5G-Mobilfunktechnik. Auch der staatliche Ausbau der Netze, wo ein wirtschaftlicher Ausbau nicht lohnt, ist Teil moderner Agrarpolitik, die nicht gängelt, sondern Lösungen forciert und Einkommen steigert.

Doch einige der jüngsten Entscheidungen aus Brüssel machen auch Mut: So wurde der Wirkstoff Glyphosat von der EU-Kommission für weitere 10 Jahre zugelassen, was sowohl dem Bodenleben guttut (weniger Bodenbearbeitung schont z.B. Mikroorganismen und Bodenbrüter, konservierende Bodenbearbeitung fördert zudem die Humusbildung und somit die klimafreundliche CO2-Speicherung im Boden) als auch zur Ertragssicherung beiträgt. Denn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hatte bei der Bewertung der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt keine kritischen Problembereiche festgestellt. Wieder sieht die EU jedoch Möglichkeiten für die EU-Mitgliedstaaten vor, mit Extra-Auflagen die Anwendung einzuschränken. Wir Freien Demokraten werden uns dafür einsetzen, in Deutschland keine solcher Extras zu etablieren, sondern stattdessen die unbürokratische Anwendung auch nach Ablauf der Eilverordnungen am 30.6.2024 zu ermöglichen.

Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen müssen jetzt so gestaltet werden, dass sie nicht nur die aktuellen, sondern auch die zukünftigen Perspektiven der Landwirte verbessern, statt zu ihrer Verschlechterung beizutragen. Damit sich Landwirtschaft wettbewerbsfähig und nachhaltig aufstellen kann, braucht sie weder Subventionen noch staatliche Alimentierung. Sie braucht weniger Bürokratie und mehr Praxis; weniger Staat und mehr Freiheit; weniger Umverteilung und mehr Eigenverantwortung.